Das Bundesverfassungsgericht hat nun wiederholt Entscheidungen der Gerichte, die im Eilverfahren ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen worden sind aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht sieht in solchen Fällen das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit verletzt. Sie ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und der durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Gleichwertigkeit der Prozessstellung der Parteien vor Gericht.

Besonders gilt dies bei kritischer Berichterstattung der Presse.

Dieser Grundsatz gilt nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch für Hinweise, die das Gericht gemäß § 139 ZPO erteilt. Auch ein Eilverfahren sei kein einseitiges Geheimverfahren, in dem das Gericht mit dem Antragsteller über mehrere Wochen rechtliche Fragen erörtern dürfe, ohne die Gegenseite einzubeziehen. In einstweiligen Rechtschutzverfahren dürfe ausnahmsweise ohne mündliche Verhandlung und ohne Einbeziehung der Gegenseite eine Entscheidung nur dann ergehen, wenn die Entscheidung aus zeitlichen Gründen keinerlei Aufschub erdulde und die Durchsetzung des Rechts sonst unmöglich oder erheblich erschwert würde. Rechtliche Hinweise sind deshalb grundsätzlich immer an beide Parteien zu erteilen.

Der neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Entscheidung im Zusammenhang mit der „Ibiza-Affäre“, die in Österreich zunächst eine Regierungskrise auslöste und am Ende zum Rücktritt des Kanzlers Kurz führte, worüber ein deutsches Nachrichtenmagazin mehrfach berichtete. Der FPÖ-Politiker Kurz sah in der Berichterstattung gegen ihn Rufmord und reichte beim Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung ein, mit welchem dem Magazin eine bestimmte tendenziöse Berichterstattung untersagt werden sollte. Die einstweilige Verfügung erging ohne vorherige Anhörung und Einbeziehung des Nachrichtenmagazins. Wegen Verletzung der prozessualen Waffengleichheit setzte das Bundesverfassungsgericht die Vollziehung der einstweiligen Verfügung seinerzeit aus (BverfG, Beschluss vom 17.06.2020, Az. 1 BvR 1380/20). In ähnlicher Weise wurde mit einer Entscheidung des hanseatischen OLG 2021 verfahren (BverfG, Beschluss vom 01.12.2021, Az. 1 BvR 2708/19).

 

[BverfG, Beschluss vom 11.01.2022, Az. 1 BvR 123/21]