Nach dem Jahresbericht der Bundesärztekammer sieht es auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aus. 2017 sind dort 2.213 Behandlungsfehler gezählt worden (im Vergleich zu 2016 mit 2.045 Fällen ist diese Zahl fast gleich geblieben). Das ist aber nur die halbe Wahrheit bzw. nur die Spitze der Fehlbehandlungen. Erfasst werden nämlich dort nur die Fälle, wo Patienten speziell über die Bundesärztekammer ein Gutachten erstellen lassen und die Gutachterkommission allein aus der schriftlichen Patientenakte die Behandlungsfehler eindeutig ersehen kann. Nicht erfasst sind all die Fälle, die gar nicht bei der Bundesärztekammer angezeigt werden. Allein der medizinische Dienst der Krankenkassen (MdK) prüft jährlich mehr als 15.000 Fälle.

Wenn der Verdacht aufkommt von einem Arzt oder im Krankenhaus falsch behandelt worden zu sein und Sie dadurch einen Schaden erlitten haben, sollte möglichst schnell mit der Beweissicherung für eine außergerichtliche Einigung oder einen späteren Prozess begonnen werden.

Eine Behandlungsmethode, die noch nicht hinreichend klinisch getestet ist, nennt man Neulandmethode. Hört sich bedenklich an, stellt jedoch nicht automatisch einen Behandlungsfehler dar.

Deswegen hat der BGH in seinem Urteil vom 18.05.2021 entschieden: Bei Neulandmethoden müssen strenge Anforderungen an die Patientenaufklärung und Sorgfaltspflichten der zu Behandelnden gelten. Jeder Patient muss nach ausführlicher Aufklärung über die Sachlage und Risiken umfassende Kenntnis erlangt habe, um selbst entscheiden zu können, ob er sich der Behandlung unterziehen möchte.

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem einem Patienten eine neuartige Bandscheibenprothese eingesetzt wurde, bei der noch keine längerfristigen klinischen Studien über die Haltbarkeit des Produkts durchgeführt wurden. Der Patient musste mit Brüchen und Auflösung der Prothese kämpfen, sodass der Hersteller alle Prothesen zurückrief. Die Prothese musste wegen starken Schmerzen entfernt werden.

Das sagen nicht wir, das äußert der Vorstandsvorsitzende Stefan Gronemeyer des Medizinischen Dienst (MD). Der Medizinische Dienst wird meist von den Krankenkassen (auf Veranlassung der Patienten) beauftragt unter anderem um Behandlungsfehler festzustellen. Im vergangenen Jahr hat dieser Dienst 3.665 Behandlungsfehler bestätigt. Davon führten 2.709 zu einem Schaden beim Patienten. Die Dunkelziffer unentdeckter Behandlungsfehler liegt vermutlich viel höher. Stefan Gronemeyer gibt an: „Experten gehen davon aus, dass nur etwa 3 % aller vermeidbaren unerwünschten Ereignisse nachverfolgt werden“. Das berichtet die FAZ in ihrer Online-Ausgabe vom 30.06.2022.

 

Am leichtesten festzustellen sind chirurgische Fehler. Es gibt hier immer wieder schwerwiegende Fehler, wie die Horrorvorstellung, dass ein Patient am gesunden Knie operiert wird, anstatt am betroffenen Knie. Seltener aufgedeckt werden Gesundheitsfolgen von falschen Medikamentengaben oder falschen Gesundheitstipps. Das liegt daran, dass Fehler bei chirurgischen Eingriffen für Patienten leichter zu erkennen sind, als Medikationsfehler.

Akute Schmerzen, Ohnmacht, insbesondere bei „unklaren Symptomen“ enden oftmals in der Notaufnahme. Das Erstpersonal und die Ärzte fragen oft viel, aber vergessen nicht selten die Frage, welche Medikamente der Patient in den letzten Tagen zu sich genommen hat. Eine Anfang 2018 veröffentlichte Studie über die Ursachen von Notaufnahmen kam bei 6,5 % aller Fälle zu dem Ergebnis, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW-Verdachtsfälle) die Ursache für die Einlieferung waren. Danach gefragt wurde in weitaus weniger Fällen, so dass die Ursache erst sehr viel später bekannt wurde.