Entscheidungen der Gerichte ergehen im Namen des Volkes. Und daran müssen sie sich auch jederzeit messen lassen. Die Entscheidung des Berliner Landgerichts vom 9. September 2019 im Hinblick auf die Hasskommentare gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast haben wir dieser Vorgabe gemessen. Die Kernaussage der Entscheidung war, dass gegen Frau Künast gerichtete Kommentare bei Facebook wie „Drecksfotze“ oder „Stück Scheiße“ nach Meinung der Richter sich gerade noch „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch Hinnehmbaren“ bewegt hätten und deshalb die Klage von Frau Künast wegen Diffamierungen unbegründet sei.

 

Sicherlich kocht die Volksseele oder auch nur Volkers Seele gegenüber Politikern nicht selten hoch. Vielleicht darf dann die Wortwahl nicht nur in Bayern etwas drastischer werden. Aber die Begriffe, die hier zur Überprüfung standen, gelten mindestens seit Verabschiedung des Strafgesetzbuches als derbe Beleidigung. Da ist es nicht vertretbar, dass Richter in Berlin den Hasskommentatoren einen rechtsfreien Raum zubilligen, nur weil die Äußerungen im Netz erfolgt ist. Im Gegenteil: das ist noch viel schlimmer, weil solche Beleidigungen oftmals noch mehr Gehör finden als wenn man sie nur einfach ausruft. Die Formulierungen sind auch so gewählt, dass sie maximale Verachtung signalisieren sollen. Das hat aber immer noch die Grenze dort, wo eindeutig eine Beleidigung anfängt.

 

Die Richter der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin haben das gewusst. Wer die zu beurteilenden Beschimpfungen als hinnehmbar bezeichnet, hat auf einem Richterstuhl nichts verloren. Wir schämen uns für die Juristen Kollegen und haben neben einer Strafanzeige wegen Rechtsbeugung auch die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt. Unserer Meinung nach müssten die verantwortlichen Richter aus dem Amt entfernt werden. Leider ist das nicht so einfach. Wir haben es trotzdem getan und nachfolgend unsere Beschwerde an den Präsident des Landgericht Berlin:

 

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An den Präsident – persönlich -

des Landgericht Berlin

Littenstraße 12 – 17

10179 Berlin-Mitte

 

Telefax: (030) 9023-2223

 

Beschwerde gegen verantwortliche Richter der 27. Zivilkammer

Gem.  Geschäftsverteilungsplan Landgericht Berlin 2019

VRiLG Thiel, RinLG Lau, Rin LG Dr. Saar, RinLG Hurek, N.N.

Entscheidung in dem Verfahren Künast 27 AR 17/19

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrter Herr  Dr. Holger Matthiessen,

 

wir sind als Rechtsanwaltskanzlei nunmehr seit 30 Jahren als Organ der Rechtspflege tätig. In dieser Zeit hatten wir schon so manche Entscheidung zur Kenntnis nehmen müssen, die nicht unserer Überzeugung entsprach. In der Regel sind es Fragen zur Auslegung eines bestimmten Sachverhalts. In der oben zitierten Entscheidung geht es aber offensichtlich nicht die Auslegung eines Sachverhalts, sondern um eine Entscheidung contra legem.

 

Durch die zitierte Formulierung „haarscharf am Hinnehmbaren“ waren sich der oder die Richter ganz bewusst, dass sie eine Bewertung vornehmen, die ander Definition von Beleidigung bewußt vorbeigeht. Gibt es dafür einen zwingenden Grund? Nein. Müssen Politiker Beleidigungen per se hinnehmen? Nein.

 

Es wird erwartet, dass sie als Präsident des Landgericht Berlin den Vorgang durch die Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin wegen des Verdachts der Rechtsbeugung durch den/die betreffenden Richter überprüfen lassen, ggf. unsere Anregung dort vorlegen.

 

Ungeachtet dessen ist zu überprüfen, ob der/die Richter der 27. Zivilkammer noch als Richter tragbar sind. Das was dort entschieden wurde, war nicht nur eine Frage der Rechtsbeugung, die über den Einzelfall hinausgeht, sondern erfolgt auch sonst nicht „im Namen des Volkes“. Ich denke, Sie haben den Aufschrei in der Öffentlichkeit verfolgt. Es darf nicht sein, dass solche Personen weiterhin nicht rechtsstaatlich handeln, sondern eigene Vorstellungen, von dem was zulässig sein soll, uns als gesprochenes Recht vorsetzen. Wir stellen keinen konkreten Antrag. Es wird jedoch darum gebeten, gegen die Verantwortlichen ein entsprechendes Disziplinarverfahren einzuleiten (anscheinend liegen weitere Strafanzeigen vor) und zu prüfen, ob der oder die Richter während laufender Ermittlungen nicht des Dienstes zu entheben sind. Es wird um Mitteilung gebeten, unter welchem Aktenzeichen der Vorgang bei Ihnen bearbeitet wird.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

R. Fischer

Rechtsanwalt