RA Rafael Fischer | Strafrecht

Eine gegen die Verweigerung einer Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das zuvor erkennende OLG hatte ein Gutachten, das gegen die Mitverursachung der Haft durch den Beschwerdeführer (Bf.) sprach, nicht in seinen Urteilsgründen verarbeitet und so den Anspruch des Bf. auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) verletzt. Gegen den Bf. war vor dem LG Deggendorf ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Tötung seiner vier Monate alten Tochter anhängig.

Das Verfahren endete mit einem Freispruch, nachdem sich die Hypothese, der Bf. habe seine Tochter erstickt, als nicht haltbar erwiesen hatte. Ein weiteres Gutachten zur Todesursache war zu der Annahme eines plötzlichen Kindstodes gelangt. Das LG sprach darüber hinaus aus, dass der Bf. für die erlittene mehrmonatige Untersuchungshaft zu entschädigen ist.

 

Gegen die Entscheidung über die Entschädigung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein unter Hinweis auf § 5 II des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, wonach die Entschädigung ausgeschlossen ist, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten die widersprüchlichen Angaben des Bf. zur Auffindesituation seiner toten Tochter die Strafverfolgungsmaßnahme wesentlich mitverursacht. Das OLG folgte dieser Argumentation und entschied, dass der Bf. nur für den Tag des Vollzugs der vorläufigen Festnahme, nicht aber für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen sei. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass sich der Bf. durch sein Aussageverhalten in der Situation des ersten Zugriffs dringend tatverdächtig gemacht habe.

 

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hob die Entscheidung des OLG auf, da sie den Bf. in seinem aus Art. 103 I GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Sache wurde an das OLG zurückverwiesen.

 

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

 

Die Entscheidung des OLG lässt nicht erkennen, dass sich das Gericht mit dem bereits in das Zwischenverfahren eingeführten und im Verfahren über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom Bf. in den wesentlichen Teilen nochmals wörtlich wiedergegebenen Gutachten zum Verhalten von Eltern nach einem plötzlichen Kindstod auseinandergesetzt hat. Die Entscheidung stellt nur dar, dass die Aussagen des Bf. – was zutrifft – widersprüchlich waren. Dass diese Widersprüchlichkeit jedoch, wie das Gutachten nahe legt, in der durch den plötzlichen Tod seiner Tochter hervorgerufenen Extremsituation des Bf. ihre Ursache haben könnte, lässt das Gericht unerörtert. Dabei war – nicht zuletzt angesichts der rechtskräftig festgestellten Unschuld des Bf. – eine Auseinandersetzung mit der These des Gutachtens veranlasst, wonach es kein Standardverhalten nach dem plötzlichen Tod eines Säuglings gebe, aber immer sehr belastende, ganz überwiegend zu Unrecht gehegte Selbstzuweisungen, mehr oder weniger mitschuldig am Tod des eigenen Kindes zu sein.

 

Das Gutachten, das sich der Bf. im Beschwerdeverfahren nochmals zu eigen gemacht hatte, war nach den besonderen, auch durch die Verfahrensgeschichte belegten Umständen des Falles erkennbar von zentraler Bedeutung. Das OLG durfte ihn daher nicht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem pauschalen Hinweis abtun, der entsprechende Schriftsatz habe vorgelegen. Es hätte ihn vielmehr in den Gründen seiner Entscheidung verarbeiten müssen.

 

(BVerfG, Beschl. v. 7. 12. 2006 – BvR 722/06)

 

[PM BverfG Nr. 122 vom 22.12.2006]